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Channel: DeichmannsAue » cmountDeichmannsAue | Page 47
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ichwilllnachjevvr

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Eines der grössten Probleme mit der Situation, daß die Dachkammern von Frau und Herrn K. 240km voneinander entfernt sind, ist dieses:

Die Entfernung.

Ich schreibe dieses Posting gerade, während ich auf meiner Reise per Bahn ca. 60 Minuten Verspätung habe und mehr oder weniger verzweifelt hoffe, daß daraus nicht 120 Minuten werden weil dieser Haufen veralteter Schrott hier auch schon wieder 10 Minuten zu spät aus Koblenz rauskommt.

Postings über die hinreichend bekannten Unzulänglichkeiten der Deutschen Bahn gibt es in der deutschsprachigen Blogosphäre mehr als genug, und genau deshalb möchte ich diese nicht nochmal reiterieren. Nur kurz zur Erinnerung: Die Bahn ist die Geißel der Menschheit, Anschlusszüge kriegt man nie, die ganze Sache ist zu teuer, zu stressig und eigentlich nur was für Leute mit einem ausgeprägten Drang zum Masochismus.

Aber genug davon, die Begebenheit, von der ich – ausnahmsweise einmal ohne Übertreibung – erzählen möchte, fand vorhin vor dem Service-Schalter im Bahnhof Koblenz statt, wo sich schon eine ziemlich lange Schlange Menschen gebildet hatte, die in einer ähnlich bemitleidenswerten Lage waren wie ich selbst, nämlich, nicht zu wissen, wie und ob sie ihr Ziel heute überhaupt noch erreichen werden.

Vor mir allerdings war ein junger, sonnengebräunter Bursche mit Rucksack, an dem die Tatsache, daß eine verkehrt herum aufgesetzte Baseballmütze schon seit Jahren nicht mehr als cool gilt, offensichtlich komplett vorübergegangen war.

Dieser kam also dran und fragte die merklich überlastete Servicekraft das Folgende:

“Könnsemersagn… wieissndieschnellseverbndungnachjevvr?”

“Wie bitte, wohin?”

“nachjevvr”

“Ich hab Sie nicht verstanden… wo wollen Sie hin?”

“willnachjevvrfahrn”

“Äh… tut mir leid, können Sie das bitte nochmal wiederholen?”

(Kurze Zwischenbemerkung: Bevor jetzt jemand denkt, ich mache mich über Behinderte lustig… der Typ war nicht behindert, zumindest nicht im herkömmlichen Gebrauch des Wortes. Er hatte einfach nur einen für Koblenz recht seltsamen Akzent)

Dieses Spiel zog sich also noch etliche viel zu lange Runden hin, während die Schlange hinter mir immer länger und verzweifelter wurde. Und schließlich beschloss ich, aus Menschenfreundlichkeit und Selbsterhaltungstrieb heraus, in das Geschehen einzugreifen, in dem ich der überlasteten Servicekraft zurief: “Jever, wie das Bier!”

Woraufhin sich der Mensch vor mir seelenruhig umdrehte, mich mit einem Blick musterte der wohl gefährlich sein sollte und meinte: “Heeentschuldigense, ichkanndasselbersage, klar?”

Noch während ich mir krampfhaft ein “nein, offensichtlich können Sie das nicht” verkniff und daraus ein “klar, super, prima” machte, wurden mir schlagartig zwei Dinge klar:

Erstens: Ich habe keine Ahnung ob es der Vater oder die Mutter des jungen Mannes vor mir war, die ihn in seiner Kindheit dazu zwangen, zur Belustigung von Freunden und Arbeitskollegen auf Partyabenden nur bekleidet mit dem mottenzerfressenen Schlüpfer seiner Großmutter zu deutscher Volksmusik zu tanzen. Aber so oder so ähnlich muss es wohl gewesen sein.

Zweitens: Obwohl das ein durchaus anrührendes Schicksal und der Mensch somit im Großen und Ganzen bedauernstwert ist, wurde ich in diesem Moment sehr stark von dem Wunsch überkommen, ihn durch ein bis dato nie beobachtetes quantenphysikalisches Phänomen jetzt sofort in das nächst mögliche Paralelluniversum hinüber wechseln zu sehen. Am besten unter unsäglicher Pein, wenn sich das irgendwie einrichten ließe.

Denn nachdem der gestressten Servicedame schließlich klar wurde, wo er hinwollte (“ah, jetzt verstehe ich… wie das Bier, klar…!”), wollte er natürlich noch auf seine ureigene eloquente und klar verständliche Art und Weise wissen, ob es da irgendwelche Spezialangebote oder Vergünstigungen gäbe, und die ganze Sache dauerte mehrere Minuten, ehe dann endlich mal ich an der Reihe war.

Naja, und jetzt sitze ich im verspäteten ICE, von dem es inzwischen klar ist, daß er auch den nächsten Anschlußzug nicht erreichen wird, womit meine Verspätung also auf 2 Stunden angestiegen ist. Und hoffe ehrlich und wahrhaftig, daß dieses Wochenende nicht so schlimm weiter geht…

Nachtrag: Um kurz nach Mitternacht war ich dann in Kassel. Will heißen, 6 Stunden Bonn-Kassel. Prost!


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